Fußball

"Das sollte zu denken geben" Früherer Top-Schiri nimmt deutsche Schiedsrichter auseinander

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Schon vor knapp zehn Jahren heißt es laut Urs Meier vom DFB, die Schiedsrichter sollten Profis werden. Doch seitdem ist viel zu wenig passiert, sagt der frühere FIFA-Referee. Stattdessen würden die deutschen Unparteiischen abgehängt. Der Schweizer sieht dafür klare Ursachen. Aber auch Lösungen.

Über Schiedsrichter im Fußball heißt es gern, dass sie ihre Aufgabe vor allem dann gut machen, wenn nach Abpfiff nicht mehr über sie gesprochen wird. In einer Zeit der dauerhaften Erregung ein zugegeben schwieriger Maßstab, der dennoch nicht davon ablenken kann, dass die deutschen Unparteiischen immer mal wieder im Fokus von Kritik, Diskussionen und Reformwünschen stehen. Der ehemalige FIFA-Schiedsrichter Urs Meier sieht das als Konsequenz auch aus dem Unwillen des Deutschen Fußball-Bundes, sein Schiedsrichterwesen grundlegend zu reformieren.

Meier fordert im Interview mit RTL/ntv und sport.de den DFB dazu auf, seine Unparteiischen endlich zu Profis zu machen. "Die Schiedsrichter tun schon viel - beruflich, Familie, nebenbei. Die Zitrone ist ausgepresst. Der Saft muss von außen kommen - durch Entlastung", sagt der Schweizer: "Es gibt keine professionellen Strukturen, keine echten Profi-Schiedsrichter in Deutschland. Das wäre längst überfällig." Aktuell haben die Schiedsrichter einen Hauptberuf und pfeifen quasi im Nebenjob.

Urs Meier leitete unter anderem das Champions-League-Finale 2002 zwischen Real Madrid und Bayer Leverkusen.

Urs Meier leitete unter anderem das Champions-League-Finale 2002 zwischen Real Madrid und Bayer Leverkusen.

Der Schweizer nimmt auch die Profiklubs in die Pflicht, diesen Prozess voranzutreiben: "Die Bundesligavereine müssten mehr Druck auf den DFB ausüben. Die 19. Mannschaft - das müssten die Schiedsrichter sein. Punkt. Aber das sind sie nicht. Deshalb reden wir jedes Jahr über dieselben Versäumnisse, dieselben Probleme."

Exemplarisch ist dabei für ihn, der schon 2016 in seinem Buch "Mein Leben auf Ballhöhe" diese Forderung aufgestellt hatte, die Langsamkeit des DFB in dieser Frage: "2016 habe ich die DFB-Präsidenten (Anm. d. Red.: Reinhard Grindel und Friedrich Curtius) in Paris getroffen. Sie sagten: 'Wir haben Ihre Botschaft gelesen.' Ich fragte: 'Und?' Antwort: 'Wir sind dran.' Ich sagte: '2050, 2051?' Jetzt ist 2025 - und es ist immer noch nicht umgesetzt."

Urs Meier vergleicht Spielleitung mit Mount Everest

Meier sieht auch darin einen Grund, dass die Unparteiischen nicht mehr zu den besten Europas und der Welt zählen würden. "International gehören die deutschen Schiedsrichter nicht zu den Top drei Nationen. Das sollte zu denken geben", so der 66-Jährige: "Eigentlich müssten sie Top eins oder zwei sein. Das müsste der Anspruch sein - sind sie aber nicht." Wichtige internationale Spiele würden von anderen gepfiffen: "Bei den letzten zwei Weltmeisterschaften, wo Deutschland früh ausgeschieden ist, hätten deutsche Schiedsrichter im Viertel-, Halb- oder Finale stehen müssen. Waren sie nicht."

Dabei ist in Meiers Augen "die Bundesliga für mich eine der besten Ligen der Welt - Top drei" und "Deutschland hat die größte Anzahl an Schiedsrichtern. England, Italien, Spanien haben weniger. Also müsste auch die größte Qualität herauskommen." Stattdessen aber nehme er Stagnation wahr, während die Unparteiischen anderer Nationen sich weiterentwickelten und die Deutschen überholten. "Manche sind fünf, zehn Jahre in der Bundesliga, haben immer noch die gleiche Körpersprache, die gleichen falschen Laufwege."

Neben der Einführung des Profiwesens empfiehlt Meier weitere Maßnahmen, die der DFB ergreifen sollte, um die Schiedsrichter besser zu machen. Er würde "den Schiedsrichtern mehr Mut geben, mehr Eigenverantwortung. Sie sollen Entscheidungen treffen. […] Die wurden durch den VAR entwertet. […] Alles wurde zum VAR verlagert, der diese Situationen nicht abdecken kann. […] Fouls, Karten, Spielgefühl, Chemie im Spiel: Das muss der Schiedsrichter übernehmen." Der Videoassistent müsse viel mehr "ein Fangnetz für klare Fehlentscheidungen" sein: "Den Rest soll der Schiedsrichter entscheiden, weil er mehr Informationen hat. "

Insgesamt müssten die Unparteiischen "mehr Fußballverständnis tanken", wie Meier es formuliert: "Sie müssen in Körpersprache und Stellungsspiel geschult werden. Auch der Umgang mit Spielern ist entscheidend - Kommunikation, Präsenz. Das bringt drei, vier, fünf Prozent Verbesserung." Dazu müssten auch ehemalige Fußballprofis in die Aus- und Weiterbildung einbezogen werden. Warum, veranschaulicht Meier mit einem Vergleich: "Wer nie auf dem Mount Everest war, kann nicht erklären, wie es sich dort anfühlt. Deshalb: Holt ehemalige Profifußballer dazu. Sie können erklären, was im Kopf eines Spielers passiert."

Quelle: ntv.de, tsi

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